Dienstag, 16. Mai 2006
Im Sommer stiehlt die Sonne den Sternen die Show
Sternwarte Bülach erhält neues Sonnenteleskop

In den kurzen Sommernächten stellt das lange Warten auf die Sterne die Bülacher Astronomen oft vor eine Geduldsprobe. Mit dem neuen Sonnenfernrohr, das am Donnerstag, 18. Mai 2006, 20 Uhr offiziell eingeweiht wird, kann die Zeit an den öffentlichen Beobachtungsabenden bis zum Sonnenuntergang und Eindunkeln mit einem Blick auf die interessanten Sonnenphänomene sinnvoll genutzt werden.



Legende zur Fotografie: Was von der Sonne pro Stunde an Energie auf der Erde ankommt, ist Zehntausend mal mehr als der Weltprimärenergiebedarf. (Bild: Thomas Baer)

„Alle wollen immer nur den Mond oder die Planeten sehen“, erklärt einer der Bülacher Astronomen den erschienenen Besuchern, „dabei bietet die Sonne als Himmelskörper wesentlich mehr als der Mond, welcher sich seit 3.5 Milliarden Jahren kaum mehr verändert hat.“ In der Tat zeigt uns das Tagesgestirn manchmal innert Stunden ein ganz neues Gesicht. Aktive und inaktive Protuberanzen, die flammenartigen Gebilde am Sonnenrand, verändern ihre Form stetig. Aber auch die dunklen Sonnenflecken, jene Stellen der Photosphäre, die um 1500°C „kühler“ sind als ihre Umgebung, variieren ihr Aussehen oder ihre Grösse und können über mehrere Tage, manchmal sogar Wochen oder Monate mit der Rotation der Sonne über deren „Oberfläche“ wandernd, verfolgt werden.

Sonnenteleskop überbrückt das Warten auf die Sterne

Im Januar dieses Jahres wurde mit der Planung eines Aussenfernrohrs speziell für die Sonnenbeobachtung begonnen. Im Nordwesten der Sternwarte entstand in den vergangenen Wochen durch den ehrenamtlichen Einsatz der Bülacher Astronomen ein gut 16 Quadratmeter grosser Platz, wo am kommenden Donnerstagabend, 18. Mai 2006, um 20 Uhr das später als Binokular konzipierte Coronado-Sonnenfernrohr offiziell eingeweiht wird.
Vor allem in den Sommermonaten, in denen die Sonne erst nach 21 Uhr untergeht und vor 23 Uhr keine Sterne am Himmel zu beobachten sind, haben die Bülacher Astronomen eine sinnvolle Alternative für Besucherinnen und Besucher geschaffen. Besonders Familien mit schulpflichtigen Kindern kann so an den öffentlichen Donnerstagsführungen von Mitte Mai bis Mitte August mit der Sonnenbeobachtung ab 20 Uhr einiges geboten werden.

Ein bedeutender Stern der kleinen Sorte

Verglichen mit anderen Sternen am Nachthimmel, ist unsere Sonne geradezu ein Winzling. Schon Sirius, der hellste Fixstern am Firmament übertrifft sie an Grösse um fast das Doppelte, Wega in der Leier sogar um das Vierfache und Arktur im Bärenhüter schon um das 22-fache. Aldebaran im Stier (36 mal grösser) und Scheat im Pegasus 112 mal grösser) zählen bereits zu den „roten Riesen“, während Antares im Skorpion (330 mal Sonne) und Beteigeuze im Orion (400 mal Sonne) zur Klasse der „roten Überriesensterne“ gezählt werden.
Um sich die Dimensionen vor Augen zu führen, verkleinern wir die Sonne 5 Milliarden mal, nämlich auf den Massstab des Planetenwegs Bülach. Dann wäre die Sonnenkugel 27.85 cm gross, Beteigeuze im Vergleich dazu sagenhafte 112 m mächtig. Die Erde hingegen müsste sich mit 2,5 mm Grösse bescheiden geben.

Die Sonne – ein kosmisches Kraftwerk

Ein Blick durch das Sonnenfernrohr lässt das Tagesgestirn im Licht des glühenden Wasserstoffs erscheinen, in einem Spekralbereich, in dem die Phänomene auf der Sonnenscheibe und am Sonnenrand besonders gut beobachtet werden können. Bei 15 Millionen Grad fusioniert die Sonne in ihrem Innern jede Sekunde 700 Millionen Tonnen Wasserstoff zu 695 Tonnen Helium, was gewaltige Energien in Form von Strahlung freisetzt. Den Masseverlust „spürt“ sie allerdings nicht, denn in 5 Milliarden Jahren ist er nicht grösser als ein Tausendstel der Sonnenmasse. Die Fläche der neuen Sonnenbeobachtungsplattform in der Sternwarte Bülach würde auf dem Tagesgestirn etwa 1 Gigawatt Leistung abgeben, etwa so viel wie das KKW Gösgen.

Obwohl sich die Sonne in nächster Zukunft ihrem Aktivitätsminimum nähert, gibt es täglich spektakuläre Protuberanzen, ab und zu sogar auch kleinere Sonnenflecken zu sehen. Und wenn der glutrote Feuerball an einem lauen Sommerabend seine letzten Strahlen auf die Eschenmoser Anhöhe schickt, denkt wohl niemand daran, dass dieses letzte Licht schon gute 8 Minuten unterwegs war und eine Strecke von annähernd 152 Millionen Kilometern durchlaufen hat.

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